Ich. Werde. Alt.

Na und? Bis vor zwei, drei Jahren hat mir das noch Angst gemacht. Die schönen Jahre sind vorbei - habe ich gedacht. Falten, graue Haare empfehlen sich als mein neues Blond, da ein Zipperlein, dort ein „was wollte ich nochmal tun“, die Sehhilfe muss verschiedene Bereiche abdecken sonst wird das nichts, meine Krankenkasse empfiehlt mir eine „altersgerechte“ Vorsorge. Und jetzt? 

In der Parfümerie meines Vertrauens, die Blicke der Mitte Zwanzig-Verkäuferin lassen mich kommentarlos wissen, der Lack ist ab und stumm geht sie langsam zum Regal mit der Anti-Aging-Kosmetik. Dort stehen sie, die hilfreichen Produkte, in Tiegeln, die jedes Bad in einen „Schöner Wohnen“-Bereich liften, zu Preisen meiner Wohnungsmiete – versteht sich. Man hofft ja, dass ich wenigstens für mein Alter vorgesorgt habe und ein gewisses Budget für meine Schönheit ausgeben kann. Der Friseurbesuch dauert jetzt auch länger. Nein, nicht nur Spitzen schneiden, ohne eine flotte Farbe und einer entsprechenden mehrstündigen Packung für die armen, alten, dünner werdenden Haare, auch hier verfehlt der mitleidige Blick nicht seine Wirkung, will man mich nicht gehen lassen. Und in meiner Lieblingsboutique werde ich mit den Worten begrüßt „ich habe beim Einkauf sofort an dich gedacht, als ich dieses Teil gesehen habe“. Ach ja? Ich schaue an mir runter. Ok. Ich habe etwas zugenommen, aber Zelte möchte ich trotzdem nur für die Gartenparty um meine Gäste vor eventuellen Wetterumschwüngen zu schützen. 

Als Nervenfrack lasse ich mich zu Hause auf meinen Sessel fallen. Das war´s. Keine Einladungen werden mich jemals mehr erreichen, kein Mann wird sich mehr nach mir umblicken, kein modisches Kleidungsstück wird mich jemals wieder trendig wirken lassen. Her mit der Flasche Blubber. Wenigstens ihr ist mein Alter egal. 

Ja, so war das noch vor zwei, drei Jahren. Heute interessiert mich mein Alter nicht mehr. Ich muss sogar manchmal kurz nachdenken, nicht weil ich kokettieren möchte, nein, weil ich wirklich nicht weiß, wie alt ich bin. Es ist mir nämlich mittlerweile vollkommen egal. Und ich lebe verdammt gut damit. Sogar leichter. Ich muss mich um nichts mehr scheren. Es ist mir gleichgültig, welche Creme mich gestern noch optisch zwanzig Jahre jünger gemacht hat und welche Behandlung mich heute zum alterslosen und austauschbaren Top-Modell werden lässt. Die monatlichen Hochglanz-Magazine, die mir verraten wie ich mich zu jeder Zeit zu kleiden habe und welche Sportvariante jetzt gerade en vogue ist, wurden von mir reduziert. Reise mit leichtem Gepäck ist jetzt mein Credo. Ich habe - ich liebe mein Alter! - mein Leben jetzt selbst in die Hand genommen. Erfahrungen habe ich in der Probezeit des Lebens ja genug gesammelt. Ich mache und tue wonach mir der Sinn steht und meine Waage sucht einen Zweitjob. Alles hat seine Zeit. Ich bin gesund, war noch nie so ausgeglichen, noch nie so mutig und noch nie so neugierig auf das, was da noch kommt. Das Leben annehmen wie es ist und kommt, macht ganz schön frei. Ich werde es jetzt sehr stilvoll mit einem Satz von Armin Müller-Stahl halten: „Wer immer nur funktioniert, entzieht sich dem Abenteuer des Lebens.“ Alt genug bin ich ja jetzt. Endlich. 

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